Verschollen

Verschollen in den Untiefen deines Schweigens. Urplötzlich aus dem Leben gerissen durch ein einziges Wort, das nicht gesagt wurde. Ein winziger Moment der Stille – diese Nadel im Heuhaufen meines Herzens. Ein Tropfen Blut, der die Erinnerung tränkt, dieses scheue Reh am Straßenrand. Ein Licht am Horizont – die Rettung oder bloß ein gefallener Stern? Kein Land in Sicht. Ich folge einer unsichtbaren Spur, geblendet von meiner Einsamkeit.

Selbstverständlich

Selbstverständlich, sollte man meinen, was ich bin und wie ich es wurde, doch sobald ich darüber nachdenke, liegt nichts ferner, nichts könnte unbekannter sein. Der Blick in den Spiegel macht mich zu einem Fremden, der mich anstarrt wie einen Eindringling. Hirngespinste bloß, was ich von mir zu wissen glaube, Mutmaßungen und Gerüchte. Was ich sehe – nichts als Trugbilder. Irrtum, was ich denke. Was ich bin – Schweigen.

Aus der Tiefe

Aus der Tiefe menschlicher Abgründe erreicht dich mein Schweigen, nichts als Verzweiflung, die in den nächtlich schwarzen Himmel aufsteigt, ohne jemals anzukommen. Dieser ungeschriebene Brief ohne Empfänger. Nichts als Leere, die von dort oben auf mich herabblickt, nichts als Gleichgültigkeit. Keine Gnade, nicht einmal ein mitleidiges Lächeln. Eine halbe Ewigkeit warte ich nun schon – aber worauf? Eine Antwort? Ein Zeichen? Ein Wunder? Unendlich lange harre ich aus – und wofür? Nichts als Ahnungslosigkeit.

Höhere Gewalt

Höhere Gewalt – dein großer Mund auf meiner Haut, deine Füße in meinen Gedanken, dein Blick unter meinen Fingernägeln. Worte ohne Sinn, unsterblich, und doch mit dem Tod im Bunde. Worte mit Haaren auf den Zähnen, dem Schweigen bedrohlich nah. Worte, die von Wänden abprallen wie verendendes Sonnenlicht. Dein Gesicht am Fenster – vergiss nicht, dass du gefangen bist.

Funkstille

Funkstille am anderen Ende der Leitung. Keine Antwort auf meine Fragen. Was ich auch sage – kein Bild, kein Ton. Vielleicht bin ich längst allein, führe Selbstgespräche. Oder ich spreche die falsche Sprache. Mag sein, dass mein Gerede nicht zu ertragen ist, meine Sorgen und Ängste lästig sind. Niemand da, der mir zuhört. Vielleicht wäre das zu viel verlangt: ein offenes Ohr, ein wenig Aufmerksamkeit. Ab und zu ein kleines Lebenszeichen, eine spürbare Präsenz. Ein paar Minuten nur für mich. Hallo, ist da jemand? Wenn man doch wenigstens dem Schweigen einen Sinn abgewinnen könnte. Kein Trost, keine Beschwichtigung, nicht einmal Gleichgültigkeit. Kein einziges Wort. Nichts.

Mit gespaltener Zunge

Mit gespaltener Zunge ans Eingemachte, der Wahrheit an den Kragen – ohne Rücksicht auf Verluste. Aber was ist Wahrheit, wenn man im Traum nicht daran denkt, den Kopf in die Wolken zu stecken, hübsch geschmückt mit all den Fragezeichen, welche die Spreu vom Weizen trennen. Schweigen im Walde oder auch: der kleine Tod für zwischendurch. Regungslosigkeit zwischen den Zeilen. Nichts ist zu sagen – und dies mit Nachdruck. Kein Fenster dieser Welt, das sich zur Hoffnung öffnet. Keine Lüge, die das Blau des Himmels auf dem Schwarzmarkt verhökert.

Mit der Wand durch den Kopf

Mit der Wand durch den Kopf, wenn nichts mehr geht oder nichts mehr von Bedeutung ist. Am Ende nichts als Schweigen im Walde, das Exil der Stille, dem schnöden Tageslicht verborgen. Nichts als stumme Blicke, die von den Dingen abperlen, dem Wirklichen fremd wie das Geräusch einer fallenden Feder auf befahrener Straße, mitten in der Stadt vielleicht – oder einfach nur in meiner Vorstellung. Seltsam, wie alles sich mir zuwendet, als würden der Leere Ohren wachsen, nur um meinen zaghaften Schritten zu lauschen, meinem stockenden Atem – meiner Sprachlosigkeit.

Aus dem Ärmel

Aus dem Ärmel geschüttelt ein paar Zeilen, ohne Hand und Fuß, schließlich drängt die Zeit. Und was, wenn es nun doch einer liest? Wenn einer bemerkt, dass diese letzten Worte des Tages ergaunert statt erkämpft sind? Dass sie nicht mit deinem Blut geschrieben sind, nicht einmal mit Tinte? Doch am Ende kräht kein Hahn danach. Die Wirklichkeit des Schreibens rührt an keine Wahrheit. Kein Wort dringt zum Mittelpunkt der Welt vor, kein Gedanke schwingt sich zum Himmel auf. Nur so erkauft man sich das Schweigen.

Katzengleich

Katzengleich auf dem Boden ausgestreckt: mein eigener Schatten. Still liegt er da, wie schlafend, dennoch fühle ich mich beobachtet. Es ist, als hielte er mich an der Leine – mit seinem unsichtbaren Blick, mit seiner bloßen Anwesenheit, die nichts Menschliches verströmt. Er fesselt mich mit seinem Schweigen, das umso unerträglicher ist, als es doch mein eigenes zu sein scheint. Mitten im Raum macht er sich breit, damit ich nicht unbemerkt an ihm vorbei komme. Ohne sich zu rühren, macht er mich zu seinem Sklaven.

Ausnahmezustand

Ausnahmezustand in den Adern dieser Stadt, die von unverkäuflichen Erinnerungen lebt, Souvenirs, die keiner haben will, von Bildern, die längst wirklicher sind als das Leben selbst. Von welchem Leben überhaupt ist die Rede? Wo doch das Lebendigste ein kaum wahrnehmbares Flimmern ist, bei großer Hitze über dem Asphalt der Straßen. Oder früh am Morgen der resignierte Gesang einer verirrten Amsel. Vielleicht die laue Brise in den vertrockneten Zweigen einer Platane. Oder auch das lange Schweigen eines einsamen Spaziergängers ohne Ziel. Ausnahmezustand oder Winterschlussverkauf? Die Begriffe sind beliebig. In die blaue Tiefe des Himmels eingeritzt die endlosen Kreise eines Falken. Vor der Tür unseres Hauses kommt es zum Eklat: die Magnolie wirft mit tödlichen Sternen – rette sich, wer kann.